Nachwort
29. April 2015
,
Nachwort
Sammeln, ausgraben, nachschlagen,
später Orte suchen, die mein Nachdenken spiegeln,
und materialisieren zuletzt.
Diese Orte bereisen, erwandern,
Tage, Wochen, Monate oft,
dort ausharren, arbeiten, zeichnen, schreiben,
die Kälte, die Hitze, der Höhenrausch.
Die Menschen des Himalaja oder in Grönland,
die Tiere und die Einsamkeit,
Stille,
kein Telefon, kein Kontostand.
Schwarzer Himmel über Tibet.
Kalter, salziger Hauch vom Eismeer,
der hineinkriecht in meinen Ärmel,
über die Malhand,
der das Papier wellt und die Farben vermischt.
Die Geschichten kommen von selbst, ergeben sich aus dem, was ich erlebe. Eine Geschichte führt zur nächsten, und jede ist das Resultat einer Änderung meines Innenlebens – das ich durch meine Reisen prüfe, reize, locke und Neuem aussetze – um neue Bilder zu finden.
Mit den Bergen spreche,
sie kennen lerne,
und manchmal auch verliere.
Die Zivilisation hingegen macht mich nervös – trotz der Museen und Kirchen, die zu besuchen ich liebe. Doch auch hier finde ich Geschichten. Die Geschichte von Balto und dem Kojoten. Und wenn sich solch eine Linie ergibt, die mitten durch unsere Kulturgeschichte hindurchführt, und wenn die Literatur mich gut dabei begleitet, dann arbeite ich auch eine Weile daheim. Indoor, gewissermaßen. Verzichte auf größere Reisen und arbeite die Geschichte auf.
Alle Orte, die in diesem Buch vorkommen, habe ich bereist und besucht. Die Zeichnungen, Ideen und die Entwürfe für die Bilder entstanden an den jeweiligen Schauplätzen. Denn ich habe mich der (früher so genannten) Freiluftmalerei verschrieben. Weil der Blick sich ändert, wenn man lange vor einem Motiv verweilt. Wenn man es abtastet mit den Augen, es bei verschiedenstem Licht und Wetter näher kennen lernt. Strich für Strich sich eine Landschaft aneignet. Dann für immer.
Und der medial geprägte Blick – die Foto- und Filmformate, welche bereits eingebrannt sind in unser Gehirn – ändert sich beim Arbeiten in der Natur. Panoramen, Zusammenschiebungen, Überlagerungen. Beim langsamen und ungestörten Arbeiten unterwegs brechen akademische Parameter auf, und die aktuell und real erlebten Erfahrungen übernehmen die Regie der Wahrnehmung. Jede Reise ist also auch ein Selbstversuch, eine prozesshafte Überprüfung der eigenen Gedanken, der Konzepte und der Theorien, die ich vor der Reise recherchierte, ausheckte und natürlich hoffte, bestätigt zu finden.
Eine gelungene Reise entwickelt sich von selbst und endet anders als geplant.
Meine Reise durch Deutschland sollte eine Studie über die Romantik werden. All die Hundegeschichten, die mir damals begegneten, und das Bild „Verlorene Hoffnung“ oder „Das Eismeer“ von Caspar David Friedrich in Hamburg führten mich jedoch zunächst nach Grönland – und immer weiter über Island nach Amsterdam, hinein in den peristaltischen Schlund Rotterdams und weiter nach Nordzypern – und irgendwann wusste ich es gewiss, wie meine Geschichte verlaufen soll.
Und erst dann, als sich das Ziel des Denkprozesses abzeichnete, bestimmte ich den inhaltlichen Bogen der Erzählung und fügte die Teile in diesem Sinn zusammen. Aber weder der Text noch das Bild sind auf einen bestimmten Ort in der Erzählung fixiert. Die einzelnen Elemente sind Begriffe, die ich immer wieder neu verwenden kann.
In meinen Ausstellungen entwickelte ich die Geschichte weiter, variierte sie, ließ sie wuchern und ausufern. Reagierte spontan auf Raum und Umgebung. In dieser Novelle montage N° 1 findet die Anordnung nun einen vorläufigen Schlusspunkt – in der Form des Buches wird ein ganz bestimmter Moment meiner Arbeit festgehalten.
Und dem Publikum übergeben.
Die Geschichten aber setzen sich fort.
Kündigen sich oft Jahrzehnte früher an, aber greifen auch vor.
Was ich heute erzähle, ist vermutlich nicht mehr als die Vorgeschichte
zu einer Geschichte, die ich noch nicht kenne.
Nur ahne.
Spüre, wie es mich hinzieht an Orte,
zu Bildern, zu Büchern, zu Menschen.
Und jedes Erlebnis und jedes Gespräch
schreibt die Geschichte mit.
Denn nichts geht verloren,
wenn man mit einer Sammlerin spricht.