Wien-Tirol-New York 03 – Jet Lag, peanuts und Tomato Juice

Maria Peters, 29. Mai 2017

Die Haustüre steckt.
Zwar passt der Schlüssel, aber die Türe will nicht aufgehen, hat sich vielleicht in der überraschenden Sommerhitze verzogen, sie steckt.
Eine Schrecksekunde.
Mit schwerem Koffer und müde von der Reise versuche ich es im Nachbarhaus und habe Glück, eben ist jemand von der KFZ-Werkstätte da, die Türe zum geteilten Hof steht offen.

In der Wohnung stehen meine Sachen, und doch fühlt es sich an, als würde ich eine Ferienwohnung beziehen, zu neu und zu fremd noch erscheint mir das Ambiente. Im Postkasten schöne Überraschungen, dadurch dann plötzlich eine Art einheimisch zu sein.

Die letzten Tage in New York waren dicht angefüllt mit Ausstellungen, dazwischen Regen. In Coney Island entlang des Sandstrands Ruhe und viele alte Menschen. Ein Revier des Rückzugs, ein Ort, an dem auch Alte und Gehbehinderte leben können, eingebettet in eine russische Kolonie. Mit der guten russischen Küche ist jedoch zugleich die fortgesetzte Unterdrückung der geflüchteten russischen Homosexuellen hierher gezogen. Das erfuhren wir aber erst am folgenden Tag aus der Zeitung. Während unseres Besuchs zeigte sich dieser südliche Teil New Yorks von seiner schönen und gelassenen Seite.


Ausflug nach Brooklyn in den Bezirk Sunset-Park. Wir befinden uns quasi in Mexico, viele Supermärkte in denen man, im Gegensatz zu Manhattan, alles zum Kochen kaufen kann. Es gibt hier viele Kinder. Und dem gemäß unzählige Geschäfte für Windeln und Babynahrung, Kaufhäuser für Kinderkleidung und eigene Shops für die Ausstattung der Mädchen zur Erstkommunion. Dazwischen kleine Läden mit Heilkräutern und Heiligenfiguren – christliche, Buddhas, Amulette und selbst Vodoopuppen gibt es hier zu kaufen. Dann, wieder retour gehend in Richtung Subway, mischten sich erste Weiße ins Straßenbild. Kreative und Alternative, die hier wohl das billigere Leben suchen – und mit ihnen tauchen erste auf diese neue Klientel reagierende Geschäfte und Restaurants auf. Bald wird die Gegend hip sein, bald wird ein erstes Stadtmagazin über die „Geheimtipps“ hier berichten. Bald die ersten Galerien kommen…
Etwas später, in einem sehr nobel adaptierten Fabrikgebäude mit unverschämt teurer Gastrozone, open-Ateliers der ansässigen Kreativ- und Künstlerszene. Deshalb sind wir hierher gekommen, wir hatten darüber gelesen. Die gezeigte Kunst ist großteils mittelmäßig, nur einige Gute haben ihre Türen aufgesperrt. Das Gebäude ist riesig. Ich wundere mich, wie man in dieser Dichte von künstlerischen Auren arbeiten kann.
Vor der Türe eine Demonstration von weißen Kreativen gegen die Gentrifizierung dieses Viertels.

    

     

Am Sonntag ist es ruhig in New York. Zwar haben viele Geschäfte und Kaufhäuser offen, aber doch ist es stiller und die Menschen gehen ein wenig langsamer durch die Straßen. Am Nachmittag regnet es. Ein feiner sprühender Regen, es ist warm und hell. Wir besuchen das MOMA und drängen uns gemeinsam mit den „Häkchensammlern“ (wie Gunter die vielen ziemlich uninteressierten Besucher nennt) durch die Räume. Es ist furchtbar eng. Die Bilder hängen zu dicht, aber meine zwei Lieblingsbilder von Rousseau interessieren zum Glück offenbar fast nur mich. Die zeitgenössische Abteilung wurde eben umgebaut, ersatzweise zeigten sie eine Retrospektive von Rauschenberg mit Freunden, ein Fest der Eitelkeit. Und drei Räume waren weiblichen Positionen vorbehalten, warum diese nicht zwischen ihren Zeitgenossen hängen können, erschloss sich mir nicht. Wohl gut gemeint, aber doch schlecht getroffen, so erschien es mir.

Was sich später im New Museum allerdings etwas relativierte, denn dieses war insgesamt ausschließlich mit aktuellen erstklassigen weiblichen Positionen bespielt. Im Männer-WC, so berichtete Gunter, war dort auch ein Wickeltisch. Ich denke an Zarah Leander und Nina Hagen: „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh´n …

   

 

            

Bilder oben: Häuser entlang der Marlborough-Street. Wir stiegen irgendwo aus der Subway aus. Ob dieses Viertel im Begriff ist zu verarmen, oder im Gegenteil nobel zu werden, konnten wir nicht herausfinden.

Wenn man New York verlässt, den absurden Lärm, die Dichte, das Überangebot an Bildern und Eindrücken, ist man müde. Wenn man ins Flugzeug steigt, möchte man jedoch trotzdem sofort wieder umkehren. Die Stadt hat einen Zauber, jenseits jeder Vernunft. Sie fühlt sich an, als würde dort etwas auf einen warten.
Aber kein Ort, nur ein Versprechen.

Zuerst glaubte ich, die Zeitverschiebung bei der Heimkehr sei für mich kein Problem. Um drei Uhr morgens spaziere ich dann durch Wien. Wien ist nicht New York, ist auch nicht Berlin. Kein Geschäft hat offen, anstatt eines Biers trinke ich Tomatensaft und esse Erdnüsse. Seltsamerweise zwitschern bereits jetzt, in noch tiefster Dunkelheit, die ersten Vögel.

Seit meiner Wanderung durch Ostdeutschland ist nun schon bald ein Jahr vergangen.

Es wandelt niemand ungestraft unter Palmen, und die Gesinnungen ändern sich gewiß in einem Lande, wo Elefanten und Tiger zu Hause sind.“

Johann Wolfgang von Goethe, Die Wahlverwandtschaften, 1809, 2. Teil, 7.Kapitel

 

Links:

Carol Rama

Whitney Museum

Moma PS1 Ian Cheng: Emissaries (mit Live-Stream)

Portrait von Ian Cheng im Kunstmagazin Spike

Nachfolgerin 08 und der Chronist im Central Park



Maria Peters, 29. Mai 2017


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