Epilog
29. April 2015
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Epilog
Bei einem Spaziergang im letzten Frühling traf ich auf einen Hund.
„Ja, wem gehörst du denn?“, fragte ich ihn, so wie man Tiere eben anspricht.
Er schüttelte seinen großen Kopf und sagte mürrisch: „Ich gehöre niemandem. Ich bleibe nur aus freiem Willen.“ Ich war natürlich außer mir, zweifelte an meinem Verstand. Wie konnte es passieren, dass ich einen Hund sprechen hörte? Als könne er meine Gedanken lesen, sagte er nun: „Fürchte dich nicht, Maria.“ Na, das war nun aber wirklich etwas zu viel für mich. Ich setzte mich auf den Boden und starrte ihn an.
„Muss ich heute meine gesamte katholische Kindheit abarbeiten?“, fragte ich – mehr mich selbst als den Hund. „Nimm’s nicht persönlich“, meinte der Hund, „ich spreche alle Sprachen der Menschen und weiß ganz genau, wo ihre empfindlichen Stellen sind.“ „Gut“, antwortete ich, „akzeptiert, Herr Hund. Und was verschafft mir nun die Ehre unserer Begegnung?“
„Es geht um dein Buch“, sagte er entschlossen, „du hast etwas Wesentliches vergessen.“ „Und was bitte, habe ich vergessen?“ Ich fand seinen Einwand ziemlich frech.
„Den Hund von Adam und Eva.“ Er sprach in geduldigem Ton, so, als hätte er es mit jemandem zu tun, der sehr schwer von Begriff war.
„Ich weiß nichts von einem Hund von Adam und Eva. Die Bibel schweigt dazu.“
„Ein Fall von Zensur“, sagte er, „deshalb eben bin ich dir über den Weg gelaufen.“
„Verstehe“, sagte ich, „das ist sehr freundlich von dir. Würdest du mir die Geschichte erzählen?“
„Gerne“, er wedelte nun mit dem Schwanz und legte sich vor mich ins Gras.
Dann begann er zu erzählen:
„Adam und Eva hatten einen Hund. Den Vorfahren meiner Wenigkeit, nebenbei bemerkt“, ein gewisser Stolz in seiner Stimme war nicht zu überhören.
Dann fuhr er fort: „Als Adam und Eva nach dem Sündenfall vom Paradies in die schnöde Welt übersiedeln mussten, war mein Urahn – sein Name war schlicht Canis – untröstlich.
Er flehte, winselte und bettelte beim Herrn. Aber der war unerbittlich. Er meinte, der Weg zurück sei ja nicht unmöglich und er sei zuversichtlich, dass die Menschen ihn irgendwann wieder finden würden.
‚Aber wie nur?‘, wollte Canis wissen.
Der Herr sagte: ‚Wenn sie all ihre Fähigkeiten, die ich ihnen ja großzügigerweise gelassen habe, in einem gemeinsamen Werk zur Vollendung bringen, dann werden sie das Paradies wiedererlangen.‘ Canis bettelte noch eine Weile weiter, das könne ja so lange dauern und wie sollte er all die Zeit ohne die lustigen Menschen existieren? Da Gott unendlich geduldig ist, hörte er ihm eine sehr lange Zeit beim Jammern zu.
Irgendwann war Canis erschöpft vom Winseln und Heulen.
Dann hatte er eine Idee: ‚Würdest du es mir erlauben‘, fragte er nun auf sehr unterwürfige Weise, ‚die Menschen auf ihrer Irrfahrt zu begleiten?‘
‚Du würdest sterblich werden wie sie‘, sagte der Herr, ‚Schmerzen erleiden, und womöglich erkennen sie dich nicht mehr und behandeln dich schlecht. Sie sind nicht mehr so, wie du sie erlebt hast, mein kleiner Canis.‘
Canis dachte kurz nach.
Doch was sollte er denn hier allein in der Glückseligkeit? Und war diese nicht bereits dahin, wenn er sich so sehr nach Adam und Eva sehnte? Und er dachte: Nun, da er wusste, wie sie wieder zurückkommen könnten, müsste er es ihnen doch nur sagen – und flugs wären sie wieder daheim. ‚Ich nehme alles in Kauf!‘, sagte Canis entschlossen. ‚Meine Liebe zu den Menschen ist stark. Ich möchte ihnen folgen.‘
Gott war gerührt und sagte: ‚Du bist vermutlich das einzige Wesen, das die Liebe verstanden hat. Denn du liebst selbstlos. Deshalb schenke ich dir sicherheitshalber noch eine laute Stimme, scharfe Zähne und eine wilde Entschlossenheit.‘
Der Herr öffnete das Tor vom Paradies höchstpersönlich und Canis stürmte hinaus. Er drehte sich nicht mehr um, sondern lief los, um seine geliebten Menschen zu suchen.“
Herr Hund war nun fertig mit seiner Erzählung.
„Hast du mir das erzählt, weil ich den Turmbau zu Babel gemalt habe?“, fragte ich ein wenig verunsichert. „Ja“, meinte er, „denn du hattest es schon fast begriffen. Und weil du einen ausgeprägten Hang zur Fantasy hast, habe ich gedacht, ich riskiere wieder einmal eine Erscheinung.“
„Weißt du auch“, fragte ich ihn, „wie Gott das mit dem gemeinsamen Werk gemeint hat? Denn als wir am Turm zu Babel bauten, endete das nicht gut für uns.“
Er nickte und antwortete: „Der große Turm oder Babel, wie du ihn nennst, war einfach zu schlecht. Ihr müsst nämlich endlich aufhören, so zu tun, als könntet ihr wieder die Unschuld der Tiere erlangen! Ihr müsst eure Fähigkeiten endlich vervollkommnen. Wuff!“
Mit diesem Satz wurde er wieder ein normaler Hund.
Er wollte spielen und ich tobte mit ihm über die Wiese.
Bis heute weiß ich nicht so recht, wie ich diese Begegnung deuten soll.
Aber eines weiß ich gewiss: Ich bin ein Mensch. Kein Hund.
Und sein Hinweis gefällt mir.
Denn der Mensch darf nicht Hund sein.