Lost to regain 05 – Zimmer 08

Maria Peters, 22. Juni 2016

11_BrunnenSchuheInWeißenfels

Brunnen in Weissenfels, Detail

Weissenberg war einst ein wichtiges Zentrum der Schuhproduktion in der ehemaligen DDR. Das erzählte mir ein Herr, der ein Stück des Weges mit mir ging. Nach der Wende verlor Weißenberg quasi über Nacht 30.000 Arbeitsplätze. Und vielen anderen Orten und Städten erging es ähnlich. Deshalb ist Weissenberg etwas herunter gekommen. Obwohl es eigentlich eine schöne Stadt wäre und die Lage verbessert sich auch wieder langsam. Viele Betriebe werden gegründet und auch einige US-Konzerne, so erzählte der Herr, siedelten sich in den vergangenen Jahren an. Im Zentrum der Stadt bürgerliches Treiben. Etwas außerhalb sieht man auch ärmere Straßenzüge und traurige Menschen. Ich wohnte eine halbe Gehstunde vor der Stadt, der Weg dorthin führte über Felder und ich erlebte hier meinen ersten Gewitterregen. Kurz, wild, erfrischend.

RegenStilleben

Vom Fenster meiner Unterkunft „Zur schönen Aussicht“ aus sah ich tatsächlich sehr weit. Ein dramatischer Sonnenuntergang spielte sich ab. Und zwischen mir und dieser farbwogenden Landschaft lag eine große Überlandstraße. Autos brausten vorbei. Aber das Zimmer war schön. Ein großes Eckzimmer mit vier Fenstern.

RoomNr08

LeporelloS3_Ausschnitt

NachtSchöneAussicht

PfeilerMitKette_14062016

Am folgenden Tag wieder meist entlang von Straßen unterwegs. An der Türe zur Pension in Lützen hing ein Schild mit der Aufschrift „Gegenüber läuten“, ich drehte mich also um und ging zum gegenüberliegenden Haus, dort hing ein Schild mit der Aufschrift „Gegenüber läuten“.
Ich griff zum Telefon. Der Besitzer kam dann auch nach einigen Minuten, anfangs schien er sich sehr gestört zu fühlen, aber nach einem kurzen Wortwechsel, nachdem ich erzählt hatte, dass ich aus Tirol und zu Fuß unterwegs sei, wurde er munter und freundlich. Ich bekam eine kleine Flasche Rotkäppchen Sekt zur Begrüßung. Ich hatte ein riesiges Zimmer. Hier konnte ich gut arbeiten. Drehte natürlich noch eine Runde durch den Ort. Das kleine Schloss in Lützen zeigte eine Ausstellung über Albert von Sachsen, der hier sehr verehrt wird, weil er Napoleon von hier verjagt hatte und so den Protestantismus rettete. Man merkt das an den allerorts geschlossenen Kirchen. Im Dachboden des Schlosses war noch das „Schaudepot“ zu besichtigen. Irgendwelche Gebrauchtgegenstände sind hier wahllos abgestellt, eine Installation nicht ohne Charme und ziemlich staubig. Dann war noch der Turm zu erobern, ich sah nun meinen gesamten vor mir liegenden Weg bis Leipzig.

Dachboden

Bis zum Kulkwitzer See südlich von Leipzig. Dort zwei Stunden am Ufer gelagert. Ein Erpel fand meine Gesellschaft erbaulich. Er blieb die gesamte Zeit an meiner Seite.

vorLeipzig

Dann der Marsch durch die Peripherie, vorbei an Einkaufszentren und Firmen. Ich werde angestarrt mit meinem Rucksack. Flüchte vor einem Gewitterregen in ein Mc Donalds Restaurant. Nach etwa eineinhalb Stunden kam ich bei meinem Quartier an. Ich musste noch eine halbe Stunde warten, doch es gab kein Kaffeehaus, keine Parkbank. Eine heruntergekommene Straße. Laut. Dreckig. Die Wohnung ähnlich, aber doch gemütlich, weil groß und wie eine alte wiener Wohnung möbliert. Mit Badewanne.

Am folgenden Tag die Spinnerei besichtigt. In der Pilotenküche der Halle 14 einen Vortrag über mein Projekt gehalten. Der Spaziergangswissenschaftler Bertram Weisshaar kam auch dazu, und wir ließen diesen Abend in einem Biergarten ausklingen.

Spinnerei

Die Ausstattung der Nikolaikirche in Leipzig folgt der Idee der Urhüttenarchitektur. Diese geht auf Vitruv zurück, der die Urhütte als Behausung der barbarischen Völker bezeichnete, sie zugleich aber auch als Beginn der Architektur und der Technik begriff.

UrhüttenArchitektur

Die Urhütte. Ein schönes Motiv.
Unser Haus.
Damals.
Im Garten Eden.

DasVerlasseneParadies

Das ich wohl immer noch suche. Warum sonst verlasse ich meine Wohnung und ziehe los mit kleinstem Haushalt im Rucksack? Der aber alles enthält, was ich brauche im Moment.

Caspar David Friedrich im Museum wieder getroffen, sein Mondstück, das mich früher immer glücklich, heute aber traurig macht. Weil mein Füchslein im Mondschein verschollen ist.

Nicht wie Kinder sind Bilder, denn Kinder werden erwachsen. Bilder sind ein Stück Welt, um das sich jemand kümmern muss. Wie um einen Garten. Andernfalls verlieren sie ihre Kraft. Vorübergehend nur, aber doch so lange, bis sie jemand wieder richtig ansieht.

MariaPeters_FuchsInRuegen_130x150cm2010

Fuchs auf Rügen, Öl auf Leinwand, 130 x 150 cm

Noch andere große Künstler getroffen.
Leipzig war gut zu mir.

Petersstraße

Leipzig ist eine angenehme und sehr schöne Stadt. Nicht zu groß, nicht zu klein. Gelassen. Und es gäbe noch einige Häuser zu kaufen und zu entwickeln.
Doch ich musste weiter. Es fiel mir schwer.

Bis Rackwitz fuhr ich diesmal mit der Bahn, eine Sehne in meinem linken Fuß hatte an diesem Tag, nach den vielen Kilometern der Fußwege durch Leipzig, ein Asphaltproblem. Die Quartiere zwischen Leipzig und Lutherstadt Wittenberg sind dünn gesät. Und für nur eine Nacht auch schwer zu bekommen. Ich buche nun über eine Online-Plattform. Zwar müssen die Pensionsbesitzer dort Prozente abliefern, aber über diese Plattformen finde ich zumindest immer ein Quartier. Und muss nicht tagelang zittern, ob die unerreichbaren Vermieter vielleicht doch noch auf meine Anfrage antworten, oder ihren Anrufbeantworter abhören. Tourismus funktioniert anders. Ich bin Tirolerin.
Und ich ärgere mich immer wieder, weil ich als Alleinereisende sehr oft das schlechteste Zimmer bekomme. Alle Nachbarn, die hier sein könnten, denn meist stehen diese Häuser ohnehin großteils leer, haben Balkone. Aber einer alleinstehenden Frau steht das offenbar nicht zu. In Zukunft werde ich das als Sonderwunsch versuchen zu deponieren.

Die Landschaft von Leipzig bis nach Bad Düben ist gleichförmig. Rapsfeld, eine Baumreihe, Rapsfeld. Riesige Wolkenbänke ziehen am Himmel vorbei, sie erinnern mich an die großen Eisberge am Horizont in Grönland. Denn die Wolkenbänke sind kompakt. Eine jede scheint für sich zu existieren. Ist eine über die Landschaft und mich hinweggezogen, bricht schlagartig wieder die Sonne durch. Das Lichtspiel, das sich mir deshalb bietet, ist vielfältig. Wechselt von kühl grau zu goldener Buntheit. Das alles sieht aus, wie eine Zeitrafferaufnahme. Sehr unwirklich.

Unspektakuläre Mittsommernacht in Bad Dübingen. Dann entlang des Lutherweges, der sehr gut markiert ist, den gesamten Tag durch den Wald. Hinter einem Biber-Beobachtungsturm fand ich einen schönen Platz. Hier konnte ich an der Geschichte weiterarbeiten. Irgendwo vor mir im Sumpf wohnen die Biber. Ich bekomme Appetit, weil ich mich an das Rezept im Buch meines Liebsten, Gunter Bakay, über Philippine Welser erinnere.

Ich arbeite gerne im Wald. Schon als Kind liebte ich das, und behielt es als Gewohnheit auf Reisen bei. Wald verkehrt die Wahrnehmung nach innen, die Weite nach aussen.

ArbeitImWald

Und wieder ist ein Gastbeitrag aus der Zukunft auf meiner Seite erschienen. Die Autorin nennt sich Christine Nachfolgerin 09. Und sie spricht von einer Sie, einer Nachfolgerin 08. Ich fühle mich angesprochen. Das Zimmer 08. Seit einigen Jahren bekomme ich in Hotels, bei Wettbewerben, bei Zugplatzreservierungen … immer wieder diese Nummer 08.
Zum Gastbeitrag



Maria Peters, 22. Juni 2016


8 Kommentare

  • Verena sagt:

    Liebe Maria, freue mich immer über Deine Reiseberichte. Beim lesen, reise ich immer ein Stück mit Dir.
    Liebe Grüße Verena

  • Gunter Bakay sagt:

    Falls du wirklich ein jagbares Biber-Exemplar entdecken solltest, schick´ ich dir Philippines Rezept zum Nachkochen, – für deine entsetzten Wirtsleute …
    Damit sie sich leichter tun, hab ich´s ins Hochdeutsche übertragen. Also:

    Wenn du einen Biberschwanz machen willst
    So nimm einen Biberschwanz und die Klauen und brühe ihn, bis die Oberhaut heruntergeht. Dann nimm ihn und zieh die Haut ab. Leg ihn wieder ins Wasser und siede ihn ungefähr 3 Stunden, bis er weiß wird.
    Und wenn ihm die andere Haut abgeht, so tu ihn heraus und mach ihn sauber. Tu ihn in eine Pfanne, gieß guten Wein daran und lass ihn sieden bis er weich wird wie ein Mus.
    Wenn er ordentlich gesotten ist, tu Safran, Pfeffer, Ingwer, Zimt, ein wenig Gewürznelken, Zucker dazu und lass ihn gut sieden. Und ein Tröpfchen Essig. Richte ihn mit der Brühe und Fischen (zusammen) an.

    • Sabine sagt:

      Liebe Maria, lieber Gunther das klingt ja richtig spannend.
      Auch ich habe mir überlegt, wie das Rezept der Philippine wohl schmeckt.

      Ich fürchte aber, meine Fantasie reicht nicht ganz ; )

      Freue mich über weitere Reiseberichte von Maria und Christine.
      Schön wenn man auf diese Art mitreisen kann! Weiterhin schöne und interessante Begegnungen.
      Liebe Grüße
      Sabine

      • Maria Peters sagt:

        Das heißt, Du kennst sein Buch noch nicht. Na so was. Bringe Dir beim nächsten Besuch eines mit. Aber vielleicht verrät Gunter sein Rezept ja hier? Danke für die Wünsche und das Mitreisen!
        Grüße aus Wittenberg
        Maria

    • Maria Peters sagt:

      Lieber Gunter!
      Ach, da ist es ja schon, das liebliche Rezept! Mein Server hatte mir Deinen Kommentar nicht aufs Handy geschickt. Ein wunderbares Rezept. Nun muss ich nur noch einen Jäger bestechen.
      Merci
      Marie

  • peter warum/rum sagt:

    liebe wandersfrau,
    es ist schon ganz was anderes – dir, auf deinen wegen-,
    wieder von zu hause aus folgen zu können.!
    zimmer 8: nimm die 8 und gib´ auch 8!
    es ist schön, wenn kreise sich tangieren und jeweils ein moment oder punkt aus dem anderen ist.
    ….oder eine geschlossene gekrümmte linie sich auch in der lotrechten als lemniskate darstellt.
    „vor dem beginn-nach dem ende“ (pw 2002)
    aber das du weißt du ja eh´….
    sei gegrüßt und umarmt, alles gute und bleib wohlauf!
    pw/wiedeRUM – ebenda
    ps:: königsberger klöpse? schon satt?

    • Maria Peters sagt:

      Ja, lieber Freund, Privatsphäre hat was. Freue mich auch schon auf die Wohnung in Berlin, da darf ich eine Woche bleiben. Was nötig ist, denn es gibt viel aufzuarbeiten und alles geht nicht von unterwegs.
      Zugleich bin ich schon sehr neugierig auf den Norden. Den kenne ich ja noch nicht.
      Halt Dich wacker!
      Und gestern einen bayerischen Biergarten besucht und Schweinebraten gegessen. Großartig! So viel zu den Klößen, die auch gut sind, aber beim Essen zeigt sich die Abstammung erbarmungslos…
      Freu mich auf Dich Maria

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